KYRGYZSTAN – SWITZERLAND 2:1 (1:0)

Unser Vorhaben sei kein Urlaub und erst recht kein Spaziergang, sondern eine Reise. Und eine solch lange Reise werde nicht immer einfach sein, werde uns mit schwierigen Prüfungen konfrontieren und uns den eigenen Grenzen näher bringen; Weise Worte eines weisen, langhaarigen Mannes. Er sollte Recht behalten. Doch der Reihe nach.

Diese Episode beschreibt die Vorkommnisse zwischen Sonntag, dem 31. Mai und Dienstag dem 10. Juni 2015.

Wir verbrachten eine klare Nacht in der Mitte des Nicht auf 2800 Metern. Wilde Pferde, Schafe und Yaks sind seit Dutzenden von Kilometern die einzigen Lebewesen, welche wir zu Gesicht bekommen. Die Strasse oder besser gesagt Geröll-Piste führt uns entlang eines Baches immer höher in die Berge. Bäume geschweige denn Wälder sucht man in diesen Breitengraden meist vergebens. Die Flanken der Berge sind in saftigem Grün gehalten. Gras soweit das Auge reicht, zerfurcht mit den Überresten vergangener Murgänge und Schlamm-/Gerölllawinen.

Unser Plan besteht darin, den Tosor-Pass auf 3895M.ü.M. von Süden her kommend zu überqueren. Dieser Plan ist eine Gleichung mit mehreren Unbekannten. Von Einheimischen hören wir, dass der Pass offen und schneefrei sei, das lokale Tourismusbüro sagt, dass die Durchfahrt erst in zwei Wochen möglich sei. Wir probieren es trotzdem, alles andere würde einer Kapitulation gleichkommen und uns ins Lager der Pauschal-Touristen katapultieren. Zumindest empfinden wir so und es verleiht uns Flügel.

So fahren wir nun also durch dieses wilde Tal von atemberaubender Schönheit. Die Strasse gleicht immer mehr einem Hindernisparcours mit brusthohen Felsen und weggerissenen Brücken, welche umfahren werden müssen. Stellenweise ist der Pfad kaum mehr ersichtlich und man fährt über riesige Geröllfelder und durch Seitenarme des Flusses. Offroad pur.

Wir sehen uns in unserem Vorhaben bestätigt, fehlen doch bloss noch wenige hundert Höhenmeter bis zum Scheitel des Passes. Noch ein paar Kehren und wir sind oben, denken wir uns, als die ersten Schneefelder entlang des Weges unsern Sehnerv irritieren. Wir fahren weiter. Der Schnee liegt höher und bedeckt teilweise bereits die Strasse. Wir fahren weiter. Eine Schneezunge legt sich quer über die Piste und lässt kaum mehr als einen Meter Weg frei: rechts der Berg, links der Abhang. Da dieser nicht entmutigend steil abfällt fahren wir weiter. Das Auto schlingert stark, Herr Lamparters Puls schnellt in äquivalente Höhen und dann sind wir durch. Alles gut gegangen. Wir fahren weiter bis die Mutter aller Schneefelder unserm Vorhaben ein jähes Ende bereitet. Schweren Herzens und mit einem Funken Verstand beschliessen wir umzudrehen. Im Wissen darin, dass uns das Pièce de resistance und noch einmal fordern wird. Nun liegt sie wieder vor der Motorhaube. Die wohlgeformte Zunge aus nassem Frühlingsschnee. Immer schön hangwärts halten und mit konstanter Geschwindigkeit den Schnee bezwingen, dachte sich Herr Lamparter als er den zweiten Gang der Untersetzung einlegte. Die Gedanken entpuppten sich als fiese Fatamorgana der letzten Hoffnung. Auf halber Strecke blieb der 3.5 Tonnen schwere und vollgepackte Land Cruiser stehen, besser noch… er rutschte seitwärts ab. Die folgenden Rettungsversuche endeten darin, dass das Gefährt immer mehr abrutschte und die Angst uns die Beine empor kroch. Abbrechen bevor wir kippen lautete nun die Devise.

Wir stecken fest und dies am sprichwörtlichen Ende der Welt. Die nördliche Seite des Passes ist unpassierbar und auf der südlichen (unserer) Seite liegt das nächste Handysignal 100 und das nächste Dorf 190 Kilometer entfernt. Nach Analyse der sich bietenden Rettungsszenarien merken wir, dass uns nur eine Möglichkeit bleibt. Talwärts Hilfe holen und zwar zu Fuss. So lassen wir schweren Herzens unser Fahrzeug auf 3700 Meter über Meer stehen und nehmen bei einsetzendem Schneefall den Rückweg unter die Füsse. KYRGYZSTAN – SWITZERLAND 1:0

Wir schätzen nach ca. 50 Kilometern auf die erste bewohnte Yurte zu treffen. Gesprochen wird kaum und wir fügen uns dem Schicksal. Im Wissen darin, dass wir dem Schweizer Winter Dutzende von Stunden wandernd abgerungen haben, verspüren wir eine gewisse geistige Sicherheit. Als Musik-Aficionados lassen wir uns auch nicht von Mick und Keith beirren „You can’t always get what you want“ Doch, WE CAN.

Nach 2.5 Stunden und 12 Kilometern Schneetreiben erblickt Herr Lamparter zwei Autoscheinwerfer während Frau Lamparter mit Tunnelblick für die Aussagen ihres Gatten kein Gehör finden will. Aber doch, ein weisser Land Cruiser mit zwei Enduro Motorrädern nähert sich. Am Steuer sitzt eine Frau, welche beim Armdrücken auch Sylvester Stallone in „Over the Top“ Konkurrenz gemacht hätte. Eine Gruppe georgisch-kirgisischer Russen, welche die Passstrasse für eine kommende „Expedition“ auskundschaften wollten, entpuppten sich als unsere Ikonen der Hoffnung.

Rein ins warme Auto und zurück zum Ort des Geschehens. Voller Hoffnung werden die beiden Offroader mit Bergegurten verbunden. Der weisse Land Cruiser versucht nun unser schwarzes Exemplar aus dem Dreck zu ziehen, scheitert aber noch und nöcher. Unser Panzer ist einfach zu schwer, zu fett, zu was-auch-immer. Er bleibt stecken und gönnt sich noch ein wenig mehr Schräglage. Einsteigen ins Auto wird bereits zum Drahtseilakt und fühlt sich dementsprechend schräg an. Schnee setzt wieder ein und die Rettungsaktion wird eingestellt. Scheisse.

Wir dürfen mit der Expeditionsgruppe zurück nach Kochkor , dem nächstgelegenen Dorf fahren. Nach sieben Stunden Fahrt über Stock und Stein treffen wir morgens um zwei auch tatsächlich dort ein und finden Unterschlupf in einem kleinen aber feinen Guesthouse. Nach einer Nacht voller Zweifel und Selbstkritik, nehmen wir den neuen Tag mit frischem Elan in Angriff. Wir setzen uns mit dem CBT, dem lokalen „Tourismusbüro“ in Verbindung. Der Verantwortliche kennt alle wichtigen Leute im 200km –Radius und sieht nur eine Möglichkeit unsern Land Cruiser zu retten: Ein Bulldozer muss her. Es wird telefoniert bis die Drähte glühen und Saschka stellt sich als unser Retter in der Not vor. Er könne uns ohne Probleme einen Traktor (russisch für Bulldozer) organisieren und unser Auto sei so gut wie gerettet. Geil! Nichts wie los sagen wir uns und eine Stunde später sitzen wir bereits in Saschkas Geländewagen koreanischer Bauart. Das Gefährt hat die 500’000 Kilometer-Marke längst hinter sich und macht nicht mehr den taufrischsten Eindruck. Nach einer halben Stunde fahren wir rechts ran und trinken erst mal ein paar Wodka-Shots. Immer mehr stärkt sich unser Eindruck, dass für den 59 jährigen Saschka die Rettungsaktion in erster Linie Grund genug ist, für drei Tage von zuhause wegzukommen, um dem Leben zu frönen. Eine weitere halbe Stunde später wird das hochprozentige Hochgefühl durch einen platten Hinterreifen kurzfristig getrübt. Kirgisen sind jedoch Meister des Radwechsels und so rollen wir kurz darauf weiter. Der Bulldozer ist bereits vorgängig losgefahren und muss bis zur Bergestelle „bloss“ 100 Kilometer fahren. Irgendwann beginnt Saschka freudig zu glucksen und kurz darauf überholen wir den Bulldozer. Das Kettenfahrzeug entpuppt sich als Relikt Sowjetischer Ingenieurskunst und hat die besten Tage hinter sich. Falls es überhaupt mal gute Tage hatte… Das über 45 jährige Gefährt kapituliert nach mickrigen 30 Kilometern. Ein grosses Ölleck verhindert jegliche Weiterfahrt. Wir werden den Verdacht nicht los, dass die Kiste seit Jahr und Tag leckt, man sich aber die Möglichkeit offenhalten wollte, gutes Geld zu verdienen. Vergeblich wurde versucht einen Ersatzbulldozer aufzutreiben und so lagen wir nach Mitternacht wieder in den Betten unserer Guesthouses. Scheisse.

Tosor2-1

Wie weiter? Unser Auto steht immer noch 190 Kilometer entfernt auf 3700 Metern Höhe uns wir machen uns ernsthafte Sorgen. Steht die Karre überhaupt noch oder ist sie bereits gekippt? Wurde das Auto aufgebrochen und leergeräumt? Wem ist es möglich das Fahrzeug zu bergen?

In den meisten Ländern Europas hätte ein Anruf gereicht und Hilfe wäre unterwegs. TCS, ADAC, usw. sei Dank. In Kirgistan gibt es aber keine solchen offiziellen Institutionen und erschwerend kommt dazu, dass die Pass-Strasse für einen Abschlepp-Truck schlicht und einfach unpassierbar ist.

Wir erinnern uns daran, vor zehn Tagen mit einer Schwedischen Offroad-Truppe einen feucht-fröhlichen Ausgang erlebt zu haben. So rufen wir die Wikinger an und bitten um Hilfe. Zwei Tage später holen uns drei Nissan Patrol in Kochkor vor dem Hostel ab. Der dritte Rettungs-Versuch soll den gewünschten Erfolg bringen. Wir sind zuversichtlich, Ronnie und seine Crew sind sehr offroad-erfahren und ein Fahrzeug ist zusätzlich mit einer Winde ausgerüstet. Zwei Tage und zweihundert Kilometer später sehen wir unsern Land Cruiser wieder. Mit einer unerwarteten Sentimentalität und einer erwarteten Genugtuung stellen wir fest, dass das Auto noch lebt und nicht eingebrochen wurde. Geil.

Es wurde geplant, geschaufelt und Seile gespannt. Die Folge davon war, dass unser Auto zwei Stunden später aus der misslichen Lage befreit worden war. Man fällt sich in die Arme und ein schweizerisch-schwedisches Hochgefühl breitet sich aus. KYRGYZSTAN – SWITZERLAND 1:1

Freude und Zuversicht sind ansteckend und so schliessen wir uns den Schweden an, um den Pass doch noch zu bezwingen. Die ersten Schneefelder werden kollektiv bezwungen, unser Fahrzeug kämpft jedoch mehr und mehr mit der instabilen Unterlage. Das Fehlen von Differential-Sperren auf der Vorder- und Hinterachse macht sich immer mehr bemerkbar und irgendwann tönt das Getriebe nicht mehr so, wie es tönen sollte.

Der Schwedische Expeditionsleiter ist gelernter Automechaniker und seine Diagnose lautet: Bruch des vorderen Differential. Diese Diagnose bereitet sogar dem unerschrockenen Wikinger Kopfzerbrechen und lässt die Gemütslage von Herrn und Frau Lamparter in tiefste Kellergeschosse sinken. Nun sitzen wir aber so richtig in der Tinte. So richtig richtig richtig. Warum haben wir nach erfolgreicher Rettung nicht einfach den Rückzug angetreten? Warum, wieso, warum?

KYRGYZSTAN – SWITZERLAND 2:1

Wir verdrängen den Schock und schauen vorwärts. Bei eingeschalteter Sperre des Mittendifferentials lässt sich der Land Cruiser immerhin noch bewegen. Er gibt zwar grässliche Geräusche von sich aber bewegt sich. Wir schaffen es auf der Passstrasse zu wenden und treten nun definitiv den Rückzug an. Unsere Schwedischen Freunde begleiten uns, eine tolle Geste. Es wird bereits dunkel und so schlagen wir völlig durchnässt und erschöpft unser Nachtlager auf 3500 Metern Höhe auf. An Schlaf ist nicht zu denken. Unsere Gedanken drehen sich im Kreis, lassen uns schier verrückt werden. Was ist, wenn das Differential auf den nächsten 60 Kilometern komplett blockiert? Wie kriegen wir unsere Karre aus diesem gottverdammten Tal raus? Wir umarmen uns, trösten einander und irgendwann wurde es wieder hell. Mit dem Tageslicht kehrt neue Hoffnung, neue Energie in unsere Körper zurück. Wir wollen es schaffen, wir müssen und wir werden! Die Schweden frühstücken noch, als wir die bevorstehenden 200km in Angriff nehmen. Mit durchschnittlich 16km/h kämpfen wir uns durch Flüsse, erklimmen Steilhänge, um später Abfahrten zu trotzen. Jedes unerwartete Geräusch des Fahrwerks lässt unsern Puls in die Höhe schnellen. Hält unser Panzer durch? Irgendwann nach über zwölf Stunden pausenloser Fahrt haben wir die Zivilisation erreicht, der Abschlepp-Dienst wurde durch unsere kirgisisch-russischen Freunde bereits organisiert und die verbleibenden fünf Stunden bis Bishkek (Hauptstadt Kirgistans) vergingen im Fluge. Um drei Uhr morgens liegen wir total erschöpft aber unglaublich erleichtert in den Betten eines Hippie-Hostels. Wir haben es geschafft, wir sind dem Tal entkommen. Schlafen!

Am nächsten Morgen statten wir der Garage einen Besuch ab und stellen fest, dass hier Samstags und oft auch Sonntags gearbeitet wird. Unsere Köpfe laufen schon seit geraumer Zeit im Reisemodus und wir haben jegliches Gefühl für Wochentage verloren. Da hilft nur noch ein Blick auf’s Handy.
Die Lieferung eines neuen Frontdifferentials würde zwei Wochen in Anspruch nehmen. So beauftragen wir einen Mittelsmann der Garage sich auf dem Gebrauchtmarkt umzusehen. Er wird fündig. Das gebrauchte Teil kostet zwar nur geringfügig weniger als das Neue, ist jedoch subito verfügbar. Wir kaufen es und verbringen den Rest des Tages damit, unsere Batterien bei sommerlichen 36° in einem kühlen Biergarten aufzuladen. Selten schmeckte Bier so gut!

Zwei Tage später sitzen wir bereits wieder im frisch reparierten Land Cruiser und blicken zurück auf eine zehntägige Odysee, welche Geist, Körper und Maschine forderte.

Wir haben dabei viel gelernt, hoffen andererseits dieses erlangte Wissen nicht so rasch wieder einsetzen zu müssen.

Und weiter geht die Reise!

2 Gedanken zu “KYRGYZSTAN – SWITZERLAND 2:1 (1:0)

  1. Jürg Lamparter schreibt:

    Wahlich eine abenteuerliche Reise! Eure Berichte sind spannend. Für die nächste Etappe wünsche ich Euch alles Gute und keine weiteren unangenhmen Überraschungen. Liebe Grüsse Jürg

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