Kirgistan – Die Schweiz Zentralasiens – Part 2

Haben wir während unserem letzten Blogeintrag nur über die Panne und das Steckenbleiben auf dem Tosor Pass erzählt, folgt hier noch der ausführliche und definitiv entspanntere Teil dieses Landes.

Auf dem höchst gelegenen Grenzpass unserer Reise auf 4200 Meter über Meer reisen wir von Tajikistan nach Kirgistan ein. Es ist nicht nur der höchste, sondern bis anhin auch der bizarrste und schnellste Übergang. Gearbeitet wird hier nicht in Militäruniform, sondern einfach im Trainingsanzug und Badeschlappen. Für die 1-2 Autos pro Tag lohnt es sich schliesslich nicht sich anständig anzuziehen – verständlich finden wir. Wir folgen ihrer Bitte nach einer Dose Rindergulasch und einer Packung Zigaretten und schon sind wir drüben.

Kirgistan ist der eigentliche ausschlaggebende Grund für unsere Reisepläne, denn mit einem Offroad-Youtube-Video hat alles begonnen und wir haben uns damals innert kürzester Zeit, sprich 2 Stunden und das morgens um 02.00, dafür entschieden dieses Abenteuer anzugehen. Herzlichen Dank Kirgistan, wir haben es noch keine einzige Sekunde bereut!

Wir beschliessen auf relativ zügigem Weg über die Stadt Osh in Richtung Bishkek, die Hauptstadt Kirgistans, zu fahren. Unser Panzer hätte gerne einen Ölwechsel und auch wir möchten uns in der „Grosstadt“ etwas erholen.

Vor uns liegen noch 3 Tage Fahrt, welche wir abends jeweils in schönen Seitentälern verbringen. Am letzten Tag vor Bishkek treffen wir eine Schwedische Reisegruppe mit ebenfalls drei geländetauglichen Fahrzeugen. Die Überraschung ist auf beiden Seiten gross, sind die Schweden doch die ersten westeuropäischen Touristen, welche wir antreffen. Und auch wir sind ihre ersten europäischen Findlinge. Spontan wird der Abend zusammen verbracht und kennt man die Schweden ein wenig, natürlich mit ausreichend Vodka und lustigen Diskussionsrunden. Wir erfahren mehr über Ronnie und Lena, die beiden Reiseleiter, welche sich durch das Organisieren von Adventure Reisen ihre eigenen Reisewünsche erfüllen können.

Den Tag darauf fahren wir in Bishkek, ehemals Frunze genannt, ein. Die Stadt ist aus einer Karawanenstation an der Seidenstrasse hervorgegangen und zählt heute knapp 900’000 Einwohner. Aufgrund seiner jungen Geschichte verfügt Bishkek über sehr wenige historische Bauwerke, kann dafür mit schönen Alleen und Grünanlagen protzen. Die Stadt wirkt lebendig und fröhlich, am Abend vergnügen sich Familien in den Parks oder auf den Plätzen sowjetischer Bauart mit Fahrrad fahren und Eis essen.

Unser Auto wird in der Garage verwöhnt und auch wir verwöhnen uns mit dem bis anhin einzigen Samstagabend fast „westlicher Art“. Nach einem ausgiebigen Abendessen enden wir mit Ronnie und seiner Crew im „Coyote Ugly“, dem trendy Ausgehort der modernen Bishkeker. Unglaublich, plötzlich wähnen wir uns in Hamburg, Berlin oder Zürich, aber definitiv nicht mehr in einer Zentralasiatischen Stadt… erst beim Anblick der fast nackt tanzenden, asiatisch aussehenden Damen auf dem Bartresen bin ich mir meiner Lage wieder bewusst, so gut wir das zu diesem Zeitpunkt noch im Stande sind. Der Islam scheint jedenfalls plötzlich ganz weit weg zu sein….

Die nächsten Tage in Bishkek sind wir oft mit dem Taxi unterwegs, kostet eine Fahrt durch die ganze Stadt ja kaum mehr als eine Flasche Wasser bei uns. Stets ist es spannend mit den Taxifahrern zu plaudern, so weit uns unsere paar russischen Brocken bringen. Wir erfahren viel über das Land und ihre politische Einstellung. Immer wieder bin ich überrascht, wie gut die Menschen über die damalige Sowjetunion denken. Ausnahmslos hören wir nur Gutes. Den Leuten sei es damals besser gegangen, sie hätten mehr Geld, mehr Sicherheit, kaum Kriminalität und eine bessere Wirtschaft gehabt. Denken wir „Westler“ doch sehr kritisch über das damalige politische System, scheint es den Menschen damals besser gegangen zu sein und es fällt auch uns auf, dass bezüglich Infrastruktur (beispielsweise wurde jedes Dorf mit Strom versorgt) und Bildung im Vergleich zu anderen, eher armen Kontinenten viel geleistet wurde. Auch gegenüber Putin sind die alle ausnahmslos gut gestimmt. Obwohl ich natürlich nicht immer gleicher Meinung bin, ist es spannend diese „Pro Russland“ Seite kennenzulernen.

3 Tage später verlassen wir Bishkek, vollgetankt und mit frischen Esswaren ausgerüstet. Etwa 100 km weiter biegen wir ab in die „Boom Schlucht“ und landen in einer wunderschönen Gegend voller saftiger grüner Wiesen, bunter Blumen und knallroten Klippen, umgeben von hohen Bergen. Nicht grundlos wird Kirgistan die Schweiz Zentralasiens genannt. Tatsächlich ist die Ähnlichkeit manchmal verblüffend, mit der Ausnahme, dass Kirgistan massiv weniger dicht besiedelt ist. Mit einer Fläche von knapp 200’000 km2 ist das Land fünfmal grösser als die Schweiz, hat jedoch nur knapp 6 Millionen Einwohner.

In tiefster Einsamkeit schlagen wir unser Nachtlager auf und Frau Lamparter frönt dem Joggen in fremden Ländern auf 2700 Metern über Meer über Felder und steile Bergpisten – es ist berauschend und verleiht ein Gefühl von Freiheit! Dies muss öfters getan werden! Während dem Rennen fällt mir auf, wie viel Platz Reisen in meinem Kopf schafft. Plötzlich hat man wieder Zeit und Luft sich über diverse neue Projekte Gedanken zu machen und diese bis in’s schier Unendliche zu spinnen. Auf eigene Faust in fremde und eher unbekannte Länder zu reisen gibt einem das Gefühl, dass für die Zukunft alles möglich ist!

Über einen kurzen Boxenstopp in Kochkor, wo wir uns mit Trinkwasser versorgen und uns im lokalen Touristenbüro, CBT, über die aktuellen Strassenverhältnisse informieren, fahren wir weiter zum „Song Kul“ See, einer der Juwelen Kirgistans. Auf 3016 Metern über Meer und umzingelt von noch höheren Bergen strahlt er uns in vollem Glanz in der nachmittäglichen Sonne an. Während den Sommermonaten werden die Ufer des Sees von den Kirgisen als Sommerweiden benutzt, so spriessen überall weisse traditionelle Jurten wie Champignons aus dem Boden.

In eben so einer Jurte verbringen wir dann auch die Nacht am Ufer des Song Kul. Für umgerechnet 20 Sfr haben wir eine schöne, grosse Jurte, samt kleinem Heizofen nur für uns. Bei nächtlichen Minusgraden auf dieser Höhe ist ein kleines Feuer eine willkommene Abwechslung zu unserem Daheim im Dachzelt. Dass hier mit getrocknetem Pferde- und Kuhdung geheizt wird (da es kaum Holz gibt) sorgt zwar für einen etwas süssen Nebengeschmack, stört aber dank der wohligen Wärme sonst kaum.

Trotzdem war die Nacht bitterkalt, wir werden aber zum Frühstück von der Besitzerin der Jurte mit frisch gemolkener warmer Milch, einer kirgisischen Art der „Smacks“ Cornflakes und selbst gebackenem warmem Nan Brot verwöhnt. Gestärkt geht es danach auf Pferden bergwärts für einen zweistündigen Ausritt auf einen Hügel, mit prächtigem Ausblick auf den See. In einer wilden Kulisse wie hier, ist ein Ritt auf einem Pferd schon etwas besonderes und ich staune immer wieder über diese Tiere und ihre Verbindung zum Mensch. Seit Jahrhunderten schon ist das Pferd ein wichtiger Bestandteil der menschlichen Geschichte, diese Hochachtung und Respekt verspüre ich jeweils im Sattel eines Pferdes.

Danach verabschieden wir uns, umrunden den See und fahren die Passtrasse serpentinenartig runter in’s Tal. Auch hier werden überall Jurten für die Sommermonate aufgebaut. Kaum beginnen die Schulferien der Kinder, zieht die ganze Familie in ihre Jurte irgendwo an einem schönen Plätzchen in der Wildniss. Es scheint das Jahres-Highlight für viele Kirgisen zu sein. Die Stimmung wirkt fröhlich und ganz Kirgistan verwandelt sich in einen riesigen Campingplatz.

Wir machen uns auf in Richtung Tosor Pass, von dessen möglicher Befahrung wir unterschiedliche Meinungen, wie so oft auf unserer Reise, erfahren haben. Natürlich beschliessen wir es trotzdem zu versuchen und nächtigen wieder auf 2800 Metern in einem idyllischen Tal in Richtung Tosor Pass. Während dem Herr Lamparter gerade am Kochen ist, bebt plötzlich die Erde. Ehe wir uns versehen, galoppiert eine Herde von 20 wilden Pferden direkt auf uns zu. Erst im letzten Moment wendet sie nach links, umrundet uns in einem wahnsinnigen Tempo einmal komplett. Das Rudel rennt weiter, an uns vorbei, nur das vorderste Pferd, es scheint der Anführer zu sein, bleibt stehen und blickt uns für 10 Sekunden provokativ an. Dann macht es kehrt und folgt den anderen Tieren. Wow, was für ein surrealer Moment! Die Natur vermag einem immer wieder zu überraschen!

Wieder soll es eine kühle Nacht werden, wie bis jetzt sehr oft auf unserer Reise. Da wir uns, mit der Ausnahme von Usbekistan, meistens in Bergebieten aufhalten, übernachten wir oft auf 1500 bis 4000 Metern über Meer und die Nächte sind mit -7 bis +10 Grad somit eher auf der kühleren Seite. Wir haben uns aber gut daran gewöhnt, schätzen unsere warmen Schlafsäcke und geniessen es früh morgens im Zelt zu erwachen, die Fenster etwas zu öffnen und die eiskalte Luft, im Schlafsack eingemummt, zu riechen.

Wir machen uns also auf zum letzten Abschnitt in Richung Tosor Pass auf 3900 Metern über Meer, welcher uns bei Gelingen direkt an den Issyk Kul See führen soll. Nun, alles weitere und unsere Niederlage am Pass habt ihr wohl bereits in unserem vorigen Blogeintrag gelesen…. somit werde ich diesen Teil der Geschichte überspringen und hüpfe direkt wieder nach Bishkek, wo unterdessen das Differenzial unseres Autos repariert wurde.

Wir sind also zurück in der Hauptstadt, zwangsläufig, und während dem wir auf die Reparatur unseres Panzers warten, geniessen wir den Tag mit massig essen und grosszügig trinken – das haben wir uns mehr als verdient!

Die letzten 10 Tage auf dem Tosor Pass waren eine grosse Belastung für Körper und vor allem Geist und eine Achterbahn der Gefühle. Nun aber, da alles vorbei ist, bleibt nur noch ein Gefühl des Glücks und der Lebendigkeit! Wir haben es geschafft und dabei wahnsinnig hilfsbereite Menschen getroffen, welche für uns bis an ihr Äußerstes gegangen sind.

4 Tage später verlassen wir Bishkek zum zweiten Mal auf unserer Reise und wollen uns nun doch noch den Stolz der Kirgisen, den Issyk Kul See auf 1600 Metern über Meer, anschauen. Er ist der zweitgrösste Hochgebirgssee der Welt und mit einer Länge von 180 Kilometern und einer Breite von 60 Kilometern stolze elfeinhalb Mal grösser als unser Bodensee. Das Wasser ist leicht salzhaltig und gefriert trotz seiner Höhe im Winter niemals zu. Tatsächlich wirkt der See eher wie ein Meer und bietet gar Sandstrände. Während Sowjetzeiten war der Issyk Kul wohl ein prächtiger Ferien- und Badeort, nun sind die besten Zeiten des lokalen Tourismus wohl aber leider vorbei. Alles wirkt etwas trist und deprimierend, trotz der Schönheit des Sees und der ihn umringenden hohen Schneeberge.

Das Wetter schlägt um und wir entschliessen uns weiter in’s nur noch 100 Kilometer entferne Kasachstan zu fahren.

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